Vor einiger Zeit las ich eine Annonce, die in großen Lettern den Slogan "Qualität kostet Geld -
oder bringt Geld" verkündete. Nun, um es kurz zu machen, ich teile diese Meinung nicht. Überhaupt
nicht. Seltsam, denn mit einer kleinen Änderung wäre der Slogan in Ordnung. "Qualität kostet Geld -
und bringt Geld."
Jedem, der sich ernsthaft mit dem Thema Qualität beschäftigt, ist klar, daß Qualität langfristig
Geld bringt. Ebenso ist klar, daß Qualität auch Geld kostet. Somit ist die Oder-Beziehung in dem
Werbe-Slogan Unsinn.
Da die Kosten immer einen großen Faktor darstellen, möchte man diese natürlich gerne reduzieren.
Aber wie? Vorweg zunächst jedoch die Frage, wie die Qualität ins Produkt kommt. Jedes Produkt
besteht aus Rohmaterial, das vom Planeten Erde zur Verfügung gestellt wird. (Bei Dienstleistungen
entfällt dieser erste Schritt der Betrachtung.) Dieses Rohmaterial ist qualitativ das Beste (und
einzige) was zu bekommen ist. Jede Veränderung des Rohmaterials in Richtung des Endproduktes ist ab
jetzt nur noch von einer menschlichen Komponente abhängig. Und hier handelt es sich im Wesentlichen
um Wissen, Entscheidungsfreudigkeit und Motivation.
Wissen an sich ist nicht mit Kosten verbunden. Das Erlangen und die Weitergabe von Wissen allerdings
schon. Noch kostenintensiver ist das Wiedererlangen von schon vorhanden gewesenem Wissen und Erfahrung. Besonders Erfahrung.
Denn das Erlangen von Erfahrung ist immer mit einem Lernen aus Fehlern verbunden. Damit wird
sehr schnell klar, daß die rechtzeitige Weitergabe von Erfahrung eine große Kosteneinsparung
bedeutet, auch wenn kurzfristig Kosten für eine Einlernzeit anfallen. Verlust von Erfahrung, z.B.
durch Weggang langjähriger Mitarbeiter, kann langfristig ein finanzielles Disaster bedeuten, denn
Erfahrung ist mehr als nachlesbares Wissen. Es ist das Gefühl für eine Sache. Daher läßt sich
Erfahrung nicht oder nur zum Teil in der Schule lehren.
Das bedeutet aber nicht, daß jeder Einzelne
erst Fehler machen muß, um Erfahrung zu bekommen. Stimmt die Kommunikation zwischen Lehrer und
Schüler, so kann Erfahrung übertragen werden, ohne Fehler zu machen. Dazu ist allerdings ein gewisses
Maß an Zeit notwendig. Langfristig jedoch reduziert sich so die Zahl der Fehler, die gemacht werden müssen,
um den notwendigen Erfahrungsschatz zu vergrößern. Dies spart Kosten und steigert die Qualität.
Der wohl größte Feind des Qualitätsgedankens ist heutzutage vermutlich die mangelnde
Entscheidungsbereitschaft. Je größer das Unternehmen, desto größer ist dieses Phänomen. Anstatt eine
Entscheidung zu treffen, wird versucht, diese Aufgabe an jemand anderes abzuwälzen. Oder es wird
solange gewartet, bis sich das Problem eventuell alleine auflöst bzw. jemand nicht mehr zuschauen
kann und die Sache in die Hand nimmt. Dadurch erhöht sich die Reaktionszeit auf unvertretbare
Zeitspannen bis hin zum völligen Erstarren, was den Tod bedeutet! Entscheidungen müssen getroffen
werden. Bedacht und schnell. Manche Entscheidungen sind nicht leicht zu treffen, doch sie müssen
gefällt werden. Egal ob sie richtig oder falsch sind. Falschen Entscheidungen muß dann zwingend ein
Lernprozess folgen! Entscheidungen sollten immer (soweit im Rahmen des Möglichen) eine
langfristige Lösung bieten. Ein weiteres großes Problem ist, daß Entscheidungen, wenn sie denn
getroffen werden, oft von fachlich nicht kompetenten Leuten getroffen werden. Manager haben zu
Beginn ihrer Laufbahn in einem Unternehmen oft keine fachliche Kompetenz. Sie wird im Laufe der Zeit
durch ihre Aufgabe der Moderation wachsen. Doch leider sind viele Manager nicht lange genug in einem
Unternehmen oder sie sind schlicht nicht daran interessiert. Eine weitere traurige Tatsache ist, daß
dies nicht nur für Manager gilt, sondern in allen Hierarchieebenen vorhanden ist. Mangelndes
Verantwortungsgefühl und hirnrissige Entscheidungen durch fehlende Lernprozesse sind der Untergang
jeglicher Qualität. Und der Beginn enormer Kosten.
Der letzte Absatz soll nicht ausdrücken, daß generell keine Entscheidungen getroffen werden oder
wenn doch, diese falsch oder viel zu spät sind. In der Tat werden in allen Bereichen die
Entscheidungen zügig und kompetent getroffen. Manche Entscheidung verzögert sich allerdings, weil
der Entscheidungsträger sich nicht ganz sicher über die Richtigkeit ist. Er bräuchte einen Ratschlag.
Und genau hier tritt ein Phänomen auf, das selbst in Douglas Adams Buch "Das Leben, das Universum und
der ganze Rest" beschrieben wird. Er nennt es PAL-Feld. Ein physikalisch nicht erklärbares
Problem-anderer-Leute-Feld mit dem man plötzlich unsichtbar wird. Niemand will sich am
Entscheidungsprozess beteiligen, denn dann könnte man die Schuld ganz alleine auf eine Person
abwälzen und ist aus dem Schneider. Doch wer sich nicht an der Lösung eines Problems beteiligt, ist
selbst Teil des Problems! Auch hat für motivierte Mitarbeiter dieses bei "Entscheidungen allein
gelassen werden" eine sehr demotivierende Wirkung und fördert damit noch die Tendenz lieblos oder
gar nichts mehr zu entscheiden.
Motivation ist wohl die wichtigste Komponente auf dem Weg zum qualitativ guten Endprodukt und zur
Einsparung von Kosten. Und sie ist auch die Kostenneutralste. Motivierte Mitarbeiter wollen ein gutes
und marktfähiges Endprodukt. Und sie wollen fehlerfrei arbeiten, denn sie sind stolz auf ihre
Leistung. Je motivierter die Mitarbeiter sind, desto nachhaltiger fällt der Lernprozess bei Fehlern
aus. Mitarbeiter zu motivieren verursacht fast keine Kosten. Es ist ein Irrtum, Motivation sei direkt
proportional zur Höhe des Einkommens. Allerdings nur, solange die Bezahlung einigermaßen gerecht oder
nachvollziehbar ist.
Laut Definition ist Motivation "die Summe der Beweggründe". Doch wie entsteht die Motivation? Erkläre
dem Mitarbeiter seine Funktion und Wichtigkeit bei der Entstehung des Endproduktes und er wird sich
für seine Arbeit interessieren. Lobe den Mitarbeiter und er ist stolz auf seine Leistung. Gib ihm das
Gefühl, daß er ist nicht allein ist mit seinen Problemen. Erkläre dem Mitarbeiter allgemeine Probleme
und Entscheidungen so, daß er sie verstehen und akzeptieren kann.
Doch am wichtigsten ist, daß man mit gutem Beispiel vorangeht. All diese Maßnahmen sind kostenneutral
und lassen Motivation in allen Ebenen entstehen. Dabei ist zu beachten, daß die einzelnen Beweggründe
bei jedem Mitarbeiter unterschiedliche Gewichtung haben. Bei jedem anders. Motivation baut sich
langsam auf und kann im übrigen z.B. beim Wegfall der Vertrauenswürdigkeit eines Vorgesetzten auch
schlagartig wieder fallen. Das Zusammenspiel von Motivation und Information startet einen Prozess an
dessen Ende Kostensenkung und Qualitätssteigerung steht. Im ersten Entwurf dieses Textes stand hier
das Wort Perfektion. Doch das ist eine Utopie, denn es gibt immer etwas zu verbessern oder neu zu
überdenken. Weiterhin besteht die Gefahr, daß man sich auf einer fälschlich vermuteten Perfektion
ausruht und dem Stillstand verfällt. Vorallem dem Stillstand des Überdenkens neuer Möglichkeiten.
Beim Thema Motivation ist die Gefahr, daß sich so mancher zurücklehnt und sich sagt: "Na, dann
motiviert mich mal!" Motivation kann nicht in einen Mitarbeiter übertragen werden ohne daß eine
gewisse Grundmotivation vorhanden ist. Der Wille, sich für eine Sache einzusetzen ist absolut
notwendige Voraussetzung. Ist diese Grundmotivation nicht gegeben, so sollte der entsprechende
Mitarbeiter ausgetauscht werden, da sonst andere Mitarbeiter in den Sog der Demotivation geraten.
Vor dem Austausch von Mitarbeitern ist aber immer sehr genau zu untersuchen, ob es sich um
grundlegenes Fehlen von Motivation oder Verlust der selben handelt. Wobei auch hier zu beachten ist,
daß fehlende Grundmotivation verborgene Gründe haben kann, die oftmals sehr einfach aus der Welt
geschafft werden können.
Motivation (gerade auch die Grundmotivation) steht im direkten Zusammenhang mit Lernprozessen.
Lernprozesse starten nicht nur nach Fehlern, sondern nach jeder Aktion. Man lernt immer "war gut"
oder "war schlecht". Diese Entscheidung trifft nicht nur eine Gemeinschaft (z.B. ein Unternehmen),
sondern auch jeder Einzelne für sich selbst. Zwingende Entscheidungsgrundlage muß immer die
Dienlichkeit der Sache sein! Sonst kann es zu einem für die Sache negativen, aber für den Einzelnen
positiven Lernerfolg kommen. So könnte z.B. ein Mitarbeiter im Laufe der Zeit lernen, daß Abwälzen
von Arbeit oder Entscheidungen auf Andere ("sich erfolgreich drücken") unbemerkt bleibt und ein
ruhiges Leben bringt. Dadurch erhöht sich die Reaktionszeit und es tritt eine schleichende
Demotivation anderer Mitarbeiter ein, was der Sache keinesfalls dienlich ist! Die Aufgabe eines
Managers ist unter anderem genau diesen "negativen" Lernerfolg zu verhindern. Nebeneffekt ist die
Vermeidung der Abhängigkeit von einzelnen Mitarbeitern, eventuellem Entstehen von Personenkult und
Überlastung einzelner Mitarbeiter.
Da ein Einzelner nur beschränkt leistungsfähig ist, kann ein gutes Endprodukt nur in der Gruppe
machbar sein. Ein Arbeiten in der Gruppe ist jedoch oft problematisch, weil unterschiedlichste Charaktere
aufeinander treffen. Wir sind alle nur Menschen, die zuweilen launisch und schwach sind. Aber mit
ein wenig Einfühlungsvermögen und Ehrlichkeit sind Leistungen möglich, die erstaunlich sind.
Noch ein Wort zu Qualitäts-Management-Systemen. In vielen Betrieben werden immer wieder neue
QM-Systeme eingeführt. Obwohl das vorhergehende noch gar nicht richtig gegriffen hat bzw.
verstanden wurde. Oder ist das neue QM-System einfach nur "modern"? Auf einer Messe
fragte ich an einem Stand, was denn nun der Unterschied zwischen TQM und dem hier
angepriesenen System wäre. Nun, bei diesem System würde man mehr Wert auf Verpflichtung,
Hingabe und Disziplin legen. Ah ja... !
Vielleicht wird es Zeit wieder ein sehr altes QM-System einzuführen:
den gesunden Menschenverstand.
Die Evolution hat dem Menschen Denkvermögen geschenkt. Es wird Zeit, daß wir dieses nutzen.
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